domingo, 26 de setembro de 2010

Zwei Fabeln aus Brasilien


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Osterfabel mit Osterhasen, Schweinen und Schafen
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Eberhard und Rosaura sitzen im Zug nach Unterstübming.
Schweigend betrachten sie die bedächtig vorbeiwandernden Bergkuppen.
Der Himmel trägt die für diese Jahreszeit wie maßgeschneiderte Helligkeit.
Eberhard freut sich auf Röhrlsalat.
Seine neben ihm und am Fenster sitzende Rosaura freut sich mit ihm und auf Kaiserschmarrn.
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Das Rucken der Waggons an der Station Hasenhütte, das mehr oder weniger rhythmische Trampeln, die Luft der auf-und zugehenden Türe bringt neue Passagiere in den Großraumwaggon.
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- Schau Mutti, ein Wildschwein -, sagt das kleine Häslein, setzt sich zurecht, starrt mit großen roten Augen ihre neuen Gegenüber an.
- Kusch - sagt die Häsin, legt ihre Vorderpfote auf die ihres kleinen Schatzes.
- Es gehört sich nicht, mit der Pfote auf andere Lebenwesen zu zeigen...
Enschuldigen Sie bitte mein vorlautes Kind -, sagt die Häsin, sich an das fremde Paar wendend, während sie die beiden Rucksäcke zurechtrückt.
- Sie wissen ja wie schwierig es ist, ein Kind zu erziehen. Umso schwieriger, wenn man 187 Kinder hat wie ich und jedes in eine andere Richtung schnuppert... entschuldigen Sie bitte... aber ich selbst habe auch noch nie in meinem Leben ein Wildschwein gesehen. -
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- Eberhard ist kein Wildschwein - korrigiert Rosaura die etwas naiv dreinschauende Häsin.
- Mein Eberhard ist von hier und ein authentischer Einheimischer. Er schaut nur aus wie ein Wildschwein, ist aber keins, sondern nur ein verwildertes Schwein.
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- Ich bin in dieser Umwelt geboren und als normales Stalltier aufgewachsen, dann aber ausgerissen und in die Wildnis gezogen - , erklärt Eberhard.
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Erneutes Rucken reißt vorübergehend das Gespräch ab. Die Häsin tastet besorgt auf die Rucksäcke, die beiden beborsteten Passagiere beobachten wie hypnotisiert die immer schneller vorbeihastenden Sträucher und die Steine am Bahndamm, während sich die Berge im Hintergrund in Zeitlupe zu bewegen beginnen, an jurassische Dickhäuter erinnernd.
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- Wir fahren auf Urlaub nach Unterstübming - erzählt Rosaura.
- Mein Eberhard stammt aus jenem Ort. -
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- Und ich habe dort bunt bemalte Eier abzugeben -, sagt die Häsin.
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- Osterhasen... dann gibt es sie hierzulande doch! -, die Stimme Rosauras ist voll Bewunderung.
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- Eine Legende, aus der wir eine Marktlücke erschnupperten -, erklärt die Häsin.
- Kaum konnten einst die Menschen nach der Schneeschmelze aus ihren Winterfenstern und auf die grün werdende Natur sehen, erspähten sie uns auch schon.
Wir, die es wagten, in ihrer unmittelbaren Umgebung nach Futter zu suchen.
Was geschah, sie brachten uns mit dem Brauchtum der versteckten Eier in Verbindung. Sie dichteten uns Hasen an, Ostereier zu bemalen und zu verstecken.
Und was taten unsere Vorfahren? Sie begannen Ostereier zu produzieren, machten aus einem Vorurteil einen Vorteil und ein gutes Geschäft. -
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- Menschen sind mit Vorurteilen schnell bei der Hand - sagt Ebehard. - Kaum sehen sie ein Wildschwein, denken sie auch schon und nur an Flurschäden... -
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- ...und an die Delikatessen, die aus Wildschweinfleisch zubereitet werden können -, ergänzt Rosaura.
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Die Tür zum Waggon geht wieder auf und eine Herde bewollter Figuren drängt an den Bänken vorbei.
Das Kleinste von ihnen schaut sie mit neugierigen Augen an.
- Agnes - blökt es mahnend im Hintergrund, dann trottet der kleine ambulante Wollballen weiter.
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- Schafe sind voller Dünkel - sagt die Häsin.
- Besonders zu dieser Jahreszeit.... und wegen den wiederholten Ausrufen der Priester:
"Lamm Gottes, Lamm Gottes"... sind sie nicht mehr zu ertragen.
Dabei haben sie gar keine Ahnung, was "Lamm Gottes" überhaupt bedeutet.
Dumm wie die Schafe sind, verstehen sie jene religiöse Symbologie nicht, verharren nur an den vereinfachten Beziehungspunkten, die sie für vorteilhaft halten.
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- ... Und uns dichten die Menschen sofort Negatives an....bestenfalls nicht gerade Lobenswertes - sagt Rosaura.
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- Lamm Gottes, Lamm Gottes - murmelt die Häsin, Rosauras Kommentar ignorierend, mit aufgeregt wippenden Schnurrbarthaaren.
- Wenn Tieren etwas Göttliches nachgesagt werden kann, dann uns Hasen... und das seit den Nahua-Indianern in Mexiko und bei den Tolteken und Azteken. Da waren wir Hasen bereits für den Tequila zuständige Hilfsgötter, zu deren Ehre sogar Pyramiden errichtet wurden. -
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- Hart gekochtes Ei, gehackt, über den bereits fertigen Röhrlsalat gestreut... - sagt Eberhard zu sich selbst, schluckt, schaut wie gedankenverloren auf die sich herdrehenden Berge.
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- Du wirst doch nicht wieder deinen ehemaligen Hof besuchen, die Tiere - Ochsen, Schweine, Hühner - mit deinen anzüglichen Reden quälen wollen -, sagt Rosaura.
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- Sind alle schon verkauft oder geschlachtet, zu Steaks oder Kotelette oder Schinken oder Wurst verarbeitet. -
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- Mir ist lieber, du ziehst über das scheinbar einzige Interesse der Nutztiere her.
Über die Erwägungen ihrer Chancen bald und möglichst viel Gnadenbrot genießen zu können. Deine Rede über Fleisch - und Wurstwaren schockiert mich. -
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- Ich wollte, ich könnte mir die Auferstehung des Fleisches vorstellen -, sagt Eberhard.
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- Die germanische Frühlings - und Fruchtbarkeitsgöttin Ostera soll auch eine Häsin sein ... oder wenigstens einen Hasenkopf haben -, sagt die Osterhäsin, ohne sich um das parallele Gespräch der beiden Schweine zu kümmern.
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- Je mehr ich ans Pökeln, Faschieren, Wursten und Räuchen denke, umso schwieriger scheint es mir, das Geheimnis der Auferstehung zu ergründen -, sagt Eberhard.
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- Vielleicht ist es gut und sozusagen gottgewollt, daß uns Schweinen das Verständnis um die Auferstehung des Fleisches verborgen bleibt... wie gut versteckte Ostereier im Urwalddickicht eines Igarapés am Amazonas - sagt Rosaura.
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- Braven Stallschweinen vielleicht. Wir, die wir in der Wildnis leben, haben ein anderes Bewußtsein, sehen vieles klarer als die vom Bauern und vom Tierarzt umsorgten Gnadenbrotgenießer und Schinkenkandidaten. Wildnis mit steter Bedrohung wirkt bewußtseinserweiternd. Unser Verständnis der Dinge ist nicht von dieser Stallwelt... -
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- Die feinen Herrschaften sind also etwas Besonderes, etwas Besseres -, sagt die Häsin, die es mittlerweile aufgegeben hat, die beiden von der Wichtigkeit und der Himmelsnähe der Osterhasen zu überzeugen.
- Die feinen Herrschaften machen Tourismus, während alle anderen arbeiten.
Die noblen Reisenden nörgeln, bekritteln und bemängeln, während wir Positives leisten... -
der Schnurrbart der Häsin bebt. Die roten Augen des kleinen Löfflers waren um ein Drittel größer als zuvor.
- Da lobe ich mir die Stinktiere, die Blutegel und Zecken, die Schlangen und Fledermäuse. Die täuschen wenigstens keinen. -
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- Wird noch lange dauern, bis sich der Vegetarismus weltweit durchsetzt. Bis jedermann zu Ostern anstatt Schinken Röhrlsalat ißt -, sagt Eberhard.
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-... und je mehr Kaiserschmarrn, umso weniger bunte Ostereier -, ergänzt Rosaura.

An der Bahnstation Neu Emaus steigen sie aus. Eberhard und Rosaura folgen dem Kiesweg talabwärts in Richtung Unterstübming. Sie haben keine Eile. Ausserdem sind die Löwenzahnblätter in jenen schattigen Höhen noch zarter als weiter unten im Tal. Auch scheint es leichter, über Emaus nachzudenken als über die Auferstehung des Fleisches.



Reinhard Lackinger
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Tiere auf der Stör

Fabel

- Servus alter Packan, sei mir gegrüßt -, ruft Eberhard dem herbeilaufenden Hund entgegen.
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Dieser kommt, schnuppert rasch, verliert jedoch keinen weiteren Augenblick mit den beiden weitgereisten Schweinen, macht kehrt, überquert den Platz, gesellt sich zu einem wunderlichen Trio: ein Esel, eine Katze, ein Hahn.
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Ehe Eberhard sich von jenem unerwarteten Zusammentreffen sammelt, verschwindet das Quartet auch schon in einer Seitenstraße.
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- Im Vergleich zu Helden geraten Urheber unrühmlicher Erreignisse und anderer Ungeschicktheiten schneller in Vergessenheit -, sagt Rosaura.
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- Sie werden verdrängt, sagen die Spezialisten tierischer Seelen -, ergänzt der neben ihr einhertippelnde Wandergefährte.
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- Andere hätten dich erst gar nicht beachtet, sondern strategisch den Gehsteig gewechselt.-
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- Der alte Packan stammt vom selben Hof wie ich! -
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- Nur Elefanten würden sich heute noch an dich, an Eberhard, den verwilderten Saubären erinnern - .
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- In Unterstübming war noch nie ein Dickhäuter. Exotische Kreaturen, wenn überhaupt, kriegten die da nur beim Zirkus zu Gesicht... und nicht von der Nähe.
Hierzulande ist man nach wie vor nur ganz gewöhnliche, alpenländische Nutztiere gewohnt -, behauptet Eberhard.
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Die beiden Schweine und auch die Gedanken laufen weiter.
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- Alpenländische Stalltiere leben in Frieden mit ihrer Umwelt -, denkt der verwilderte Saubär halblaut vor sich hin atmend.
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- Vielleicht ist aus der Warte der hiesigen Vieher das Wort "Frieden" nicht besonders glücklich gewählt.
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Vielleicht sollte man von einer harmonischen Beziehung zu ihrer ländlichen Umwelt sprechen.
Von früh bis spät, von Jahr zu Jahr die selbe einträchtige Routine...
... unterbrochen nur durch jene dunklen Tage eigenartiger Betriebsamkeit und wortlosem Hantieren mit besonderen Utensilien wie Stapelbehälter, Messer, Fleischhacken, Knochensäge und dergleichen.

Dem betretenen Schweigen folgt dann wie immer der Alltag, der Drang zum Futtertrog, das Summen der Melkmaschine, das Rattern des Traktors und das Krähen des Hahns am nächsten Morgen. Furchtbare Langeweile, meinst du nicht? -
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- Eine würdige und bunte Unterbrechung der bauernhöfischen Eintracht bedeuten nur deine spärlichen Besuche, nicht wahr ? - neckt Rosaura.

- "Saubär, der als einst als Ferkel dem Gehöft entsprungen war und in die Wildnis zog, kehrt als erfolgreiches Auslandsschwein in seine Heimat zurück..." So und nicht anders müßte es auf der ersten Seite des Lokalblattes abgedruckt werden, nicht wahr ? -

- ... wie aber schaut das nun wirklich aus? - fragt Rosaura. - Du kommst nach vielen Jahren wieder, unangemeldet, schlüpfst in die Rolle des Touristen, zeigst dich den daheimgebliebenen Artsgenossen mit anmaßender Hochrüsseligkeit.
Deine Reden, eine immerwährende Apologie, eine Lobeshymne auf die Existenz in der Wildnis, die schon keiner mehr hören will.
Eberhard, Saubär... Eber und Angeber!
Sag, was erwartest du dir davon, wenn du das Leben der Nutztiere - deine ehemaligen Stallgefährten - verhöhnst bei deinen Besuchen.
Was, frage ich dich, sollen die brav im Stall gebliebenen Tiere damit anfangen, wenn du sagst, Lebewesen kämen nur in der Wildnis und abseits sozialer Gewißheit zu vollkommener Entfaltung.
Wozu soll deine Behauptung gut sein, die Vieher hätten keine Ahnung von der großen Welt und sie würden scheinbar nur ein einziges Gesprächsthema kennen: Erwägungen um ein möglichst großes Gnadenbrot...
Sei froh daß die Stalltiere, besonders die Ochsen zahm und geduldig sind bis zur Apathie. Geduldig und vor allem großzügig und lassen dich gewähren. Das letztemal jedenfalls noch.
Du kennst aber kein Maß, du treibst es eines Tages zu bunt und dann werden sie dich verbellen, dich beissen... möglicherweise werde auch ich nicht geschont werden... -
Rosauras Äugelein glänzen besorgt.
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Kaum sagt sie das, stoßen sie auf eine Gruppe langbeiniger Geschöpfe, vollbepackt mit riesigen Ballen.
Neun Dromedare ziehen kauend an ihnen vorbei, talaufwärts.
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Eberhard steht mit weit offenem Maul da und schaut der Karavane schweigend nach.
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- Ich habe zwar schon von einer "Osterweiterung" gehört, aber das geht doch entschieden zu weit - sagt Eberhard, schüttelt seinen Sauschädel.
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Da rennt auch schon ein gefiedertes Wesen aus dem Schatten eines Hauseinganges und über ihren Weg.
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- Gerlinde Leghorn! - ruft Eberhard überrascht aus. - Servus Linde! Wie geht es dir? Was machst du da mitten in der Stadt?

Die Henne mustert das Schweinepaar mit geneigter Seite des Geflügelkopfes.
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- Delivery! -, sagt sie. - Besonderer Kundendienst! Der Bauer hat eine Marktlücke entdeckt. Einige von uns legen die Eier nicht mehr im Stall, sondern direkt im Hause des Konsumenten. Das stimmt uns zwar nicht glücklicher, bewahrt uns aber vor dem Suppentopf.
Stell dir vor, in einem Nachbargehöft verdient sich der Landwirt ein paar Cents, indem er Verbraucher zuläßt, in den Stall einlädt, damit sich jeder an älteren Hennen wie mich vergreift, sie mitnimmt. Einfach so, als wäre unsereins nichts weiter als ein Sack Erdäpfel, ein kleiner -, gackert Gerlinde Leghorn entrüstet und läuft weiter.
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Unterwegs trifft das wandernde Schweinepaar auf weitere Vieher.
Normale Nutztiere. Sie fallen den beiden Fremdlingen nur deshalb auf, weil sie ausserhalb ihres Habitats weilen, abseits ihrer gewohnten Umwelt: der Stall.
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Einige Tiere tragen Lasten, andere wiederum Schilder mit Propaganda wie:
"Romys silomilchfreier Alphornkäse" oder "Natürlich ist guter Rat teuer... aber nicht eingeholter Rat kommt viel teuerer"...
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Eberhard ist ratlos.
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Als er Auer, dem Stier begegnet, weiß er gar nicht mehr, was er denken soll.
Das männliche Rindvieh, geschmückt wie beim Almabtrieb, gleicht einem ambulanten Christbaum.
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- Servus Auer, wohin so eilig? -
- Frag mich nicht so Schweiniges, du Sau! - muht der Stier belustigt und trottet frohen Mutes von dannen.
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Auf dem Gehöft unweit von Unterstübming herrscht seltsame Ruhe.
Insekten summen, Tasso döst im Schatten des Lindenbaumes vor sich hin, sonst ist kein Lebenwesen zu sehen.
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- Servus Tasso, wie gehts -, fragt Eberhard, bemüht sich so freundlich wie möglich zu sein. Rosaura hinter ihm senkt besorgt den Kopf.
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Der Hund öffnet kurz die Augen, dann aber schließt er sie wieder.

- Sag, was ist denn los hier? Zuerst treffe ich Packan in eigenartiger Gesellschaft, dann die vielen Dromedare, ein Huhn das fremdgeht... ein Stier scheinbar auch... Ich vertstehe diese mir einst so vertraute Umwelt nicht mehr... -
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- Ist mir Wurst -, knurrt Tasso.
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- Wie soll ich die Worte verstehen, die ich unterwegs aufgefangen habe? Der eine sprach von Lebensmittelpreisen, die andere von Delivery, von Marktnischen, andere wieder von Konkurrenz, Weltmarkt. Stocks und Kompetition, von überhöhten Kosten der Arbeit und der Sozialleistungen...
Du, ich habe Angst zu fragen... aber... ist es möglich daß die braven Stalltiere alle auf der Stör sind? -
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- Stör mich nicht! Siehst du nicht, daß ich schlafen möchte ? - klingt es ungeduldig aus Tassos Maul.
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- Warum arbeitest nur du nicht? -

- Ich bin bereits im Ruhestand. Frührente, verstehst du? Ich genieße mein wohlverdientes Gnadenbrot -
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- Wo wird das hinführen? Die Welt steht Kopf! Ich verstehe meine alte Heimat nicht mehr! -
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- Ist mir Wurst! Ab morgen bin ich auf Sommerfrische in Lignano! So, und jetzt haut ab, ich will schlafen -.

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