quarta-feira, 29 de setembro de 2010

Über lesen und Sex





.
.
.
.
.
.
Beim Schreiben einer elektronischen Botschaft an meinen alten Kapfenberger Freund Heli Türk kam mir der lustige Gedanke, lesen mit Sex zu vergleichen, beide Genüsse miteinander zu verbinden.
.
Normalerweise beginnt der Mensch sich der Lektur zu widmen, ehe Sex ein Thema ist.
.
Bei mir war es jedenfalls so, schnüffelte nebenbei im Mittelschulatlas meines Bruders, stieß dabei auf Kuriositäten, von denen sich unsereins in Kapfenberg gar nicht zu träumen wagte.
Entweder war die Stadt zu klein, die Mürz zu seicht, die Polizei zu streng... und der brav aufgeforstete Fichtenwald glich dem Dickicht des Regenwaldes wie Mürzbogen einer Favela, oder so.
Mit anderen Worten... am Anfang, noch in der Volkschule, als mir die Buchstaben so langsam vertraut wurden, war ich kein anspruchsvoller Leser.
Ich verschlang was da vor mir auf dem Küchentisch lag. Bäckerstolz, Lukullus, Stadt Gottes.
Später, bereits mit dem gelben Büchel der Städtischen Leihbücherei Nr. 660 in der Hand, wurde ich wählerischer... mà non troppo!
Insgeheim schämte ich mich, weil neben sogenannten seriösen Werken immer wieder Pipi Langstrumpf und andere Kinderbücher registriert erschienen... Willkommene Escapes aus den familiären Spannungen der Zimmerküchewohnung.
Immer und immer wieder wurden die selben alten und so so oft gelesenen Schmöker aus der Bücherstellage geholt...
.
Nicht minder "unwählerisch" ging es in meinem, bereits mit komischen Hormonen bereicherten Blutkreislauf vor.
Oft genügten ein paar Zentimeter weibliche Waden, die zwischen Wintermantel und Stiefel hervorguckten, um mich kurzerhands und eigenhändig zu beflecken.
Vom eng anliegenden Trikot der Schwimmerinnen im Hallenbad ganz zu schweigen.
.
Damals ging ich fast öfter beichten als duschen.
Waschlappen flattern in meinen obersteirischen Erinnerungen wie weisse Tauben bei Friedensdemonstrationen.
.
Dann wurde ich aber wirklich wählerisch, las nur noch Autoren wie Hemingway, Graham Greene, zwischendurch einen Krimivon Ernst Hammer, aber auch Steinbeck, Orwell und liebte die Liebe, die platonische, und blieb wochenlang sündenfrei... jedenfalls was das 6. Gebot anbelangte... und wie ich das zu beurteilen und abzuschätzen wußte... anhand Beicht - und Samenspiegels.
.
Im Ausland war es dann, als hätte ich zu schnell weitergeblättert. In Köln und Umgebung war ich "de Uhslända" und bald bemerkte ich, daß mein obersteirischer Akzent Wunder wirkte.
Ich las sehr wenig damals! Höchstens Bücher über Brasilien, mein Einsatzland als Entwicklungshelfer.
.
In Portugal und während des Sprachkurses lag gerade Salazar im Sterben.
Damals schien mir, als ob kein einziger Portugiese es wagte, an Sex zu denken.
Der portugiesische Unterricht fand in der Bibliothek der deutschen Gemeinde statt.
Ich las in Oswald Spenglers Werken und holte mir den ersten Floh meines Lebens. Er war rot!
.
Während der Schiffsreise nach Rio de Janeiro war Klopapier das Einzige, was ich in Form von Vegetalfaser berührte. Ich kam als Mumie zum Maskenball.
.
In meinem Einsatzort am letzen Ende der Welt und inmitten eines Jurassic Parks oder einer Gravur con Lucas Cranach angelangt, griff ich wieder zu Büchern, aber auch an die Schenkel und Brüste der Lehrerin, die die Kleinen der Landarbeiter betreute... unten in der weit weniger keuschen Ansiedlung im Vergleich zum Zisterzienserkloster oben am Hügel, wo ich eine unwirtliche Zelle bewohnte.
.
Damals und 1969 bis 1970 las ich die mir von meiner Grazer Freundin Ita eschenkten Bücher von Henry Miller und die vom Aldous Huxley, die mir mein Bruder schickte... am Ende der Stadtgemeinde namens Mundo Novo = Neue Welt. Bosheit des Lebens...
Die an einen Keuschheitsgürtel erinnernden Lebensbedingungen verhinderten möglicherweise Schlimmeres, selbst wenn ich Samstag morgens die Zwangsjacke meines Einsatzortes auf Pferdesrücken verließ, das Wochenende bei Freunden und Freundinnen in Mundo Novo und Rui Barosa verbrachte und erst Sonntag nachts zurückkehrte, weil der Gaul den Weg viel besser kannte als ich...
.
Ausgestiegen und ohne Nabelschnur zu Österreich in Salvador, Bahia, war Deutsches für mich wie das Kruzifix für die Kapfenberger antiklerikalen Proleten.
.
Mein Portugiesisch reichte noch nicht für das damals erschienene Buch von Jorge Amado: "Tenda dos Milagres"
.
Irgendwann glich sich Sex mit dem Lesen aus, vertrugen sich diese beiden Laster in mir.
.
Mit der Zeit wurde ich immer wählerischer und aspruchsvoller. Keine flüchtigen Abenteuer mehr mit Studienkolleginnen oder mit den Sekretärinnen anderer Kollegen.
.
Mit dem Lesen geht es mir heute genauso.
Gestern ereilte mich ein neuer Aufsatz vom Eduardo Galeano, Autor der "Offenen Adern Lateinamerikas".
Heute erst wurde ich mit einem östereichischen Kriminalroman fertig, den ich vor Weihnachten von einem Freund aus Österreich zugeschickt bekam.
Ich brauchte so lange mit dem Krimi, weil ich ihn nur las, während ich morgens die Verdauung beende... und das geht sehr schnell bei mir. Zwei Winde und nach drei Minuen ist es geschehen und schiebe die Akryltür hintger mir zu und ich stehe schon unter der Dusche.
Dabei wundere ich mich, wie es da zu einem STEIFEN kommen kann... Zu einem steifen Umlschlag, meine ich.
Einen Hard Cover verdient meiner unbescheidenen Meinung nach nur ein Buch, das man vielleicht noch einmal in die Hand nehmen will um darin zu schmökern. Alfred Komareks "Polt" werde ich bestimmt nicht mehr angreifen. Dazu ist mir das Papier zu spröde.
.
Irgendwann wird vielleicht auch bei mir das Interesse am weiblichen Geschlecht geringer werden und versiegen... wenn ich das erlebe und so alt werde wie Johannes Heesters.
.
Was deutschsprachige Literatur betrifft, hilft beimir kein Viagra mehr, weder Levitra noch Cialis.
Deuschsprachige Literatur der letzten Jahre ist so interessant wie ein dreijähriger Fichtenwald, wie eine Gondel beim Interspar.

terça-feira, 28 de setembro de 2010

Brasilianische Gedanken über deutschsprachige Literatur





.
.
.
.
.
Schriftstellerei ist der einzige Sport ohne Trainer, ohne Meister und Lehrling.
.
Literaturwerkstätten kommen mir wie elendslange Schachpartien vor, die mit einem Remis enden.
.
Plötzlich stolperst du über Texte, die dir auf den ersten Blick zusagen, näherst dich dem Autor und merkst plötzlich, der hat dir nicht nur nichts zu sagen, er will auch nicht aus sich heraus.
Es soll Ausnahmen geben.
Irgendwo am Ende eines Regenbogens und kurz nach der Mitte eines Sommertages.
.
So war es auch bei mir.
Ältere Buchautoren, die bereits den Geschmack des Erfolgs kennen, sind die beste Quelle.
Lektionen stiehlt man am allerbesten!
Autoren gehen oft mit ihren mühsam erworbenen Kenntnissen nicht gerade sorgsam um.
Auch wenn dich der eine oder der andere für einen potentiellen Rivalen und Kontrahenten hält. Die meisten Literaten sind Gott sei Dank eitel wie Paviane, widerstehen selten einem Lob. Ausserdem gibt es ja genug Buchpräsentationen mit Autorenlesungen, bei denen am Ende Fragen gestellt werden, und neugierige Neulinge für einen kleinen Moment im Scheinwerferlicht stehen dürfen.
.
Schriftstellerei ist ein Sport wie jeder andere. Der eine übt sich in Lyrik, schreibt kurze Gedichte die an an den 100 Meter Sprint erinnern, der andere verfaßt Balladen, mühsam wie ein Marathonlauf.
Prosaautoren wiederum gleichen immer mehr Hammerwerfern und Gewichthebern.
Schwarten von Büchern mit 1000 Seiten sind Rekorde, die unbedingt gebrochen werden müssen.
Short Stories wiederum sind Judokämpfen ähnlich. Ab und zu gelingt einem ein Ippon, aber leider selten.
.
Verleger sind wie Klubobfrauen und Klubobmänner mit traurigen Blicken. Meide sie!
Fast alle haben von Literatur genauso viel Ahnung wie Videogame-Kiker von einem Stanglpasse im Strafraumbei staubigem Schönwetter auf einem Schlackenplatz.
Wundere dich nicht, wenn dich VerlegerInnen für einen Stümper halten, obwohl sie noch keine Zeile von dir gelesen haben.
Ihr Hirn ist dauernd mit der Frage beschäftigt "wohin mit den unverkauften Volumen", mit denen ihre Keller vollgestopft sind.
.
Es scheint schon lange nicht mehr die Qualität der Texte ausschlaggebend zu sein, ob die Arbeit einer Autorin, eines Autoren veröffentlicht wird.
Oft genügt es, daß der Dichter fesch aussieht und vor allem jung ist, die Schriftstellerin inmittleren Jahren schreibt und spricht wie eine Begleiterin von Matrosen, wenn viele Frachter vor Anker liegen.
Dann kriegt er für sein dispensables und völlig unnötiges Buch sogar einen steifen Umschlag, die etwas ältereDame den Nobelpreis.
.
Sobald einer in der Lage ist, den Computer einzuschalten, die richtigen Buchstaben am Keyboard zu finden, kannes ja losgehen.
.
Über de Inhalt der Werke, die mir die Wellen in den letzten Jahrzehnten über den Atlantik schwemmten, möchte ich diesmal nichts sagen.
Eher über Kommentare von Literaturkritikern, deren Meinung sich mit meiner nur selten deckt.
Keiner schreibt mehr wie Erich Kästner zum Beispiel, oder wie Rosegger. Auch sind weiterhin anachronische Nazihetzer unterwegs... Jaja... "Was Menschen Übles tun, das überlebt sie, gute Texte werden mit ihnen oft begraben".
.
Führt einer mit seinen Texten Sozialkritisches im Schilde und wirft ein Licht auf das Alpenländische Friedhofsmilieu, auf die "Geiz ist geil-Mentalität", wird der Kritiker sofort zum Scharfrichter.
.
Neben halblustiger Unterhaltungsliteratur scheinen nur Texte erlaubt zu sein, die von der Kriegszeit erzählen, mit oder ohne KZ-Gezeter... alsgebe es heute keinen Holokaust mehr!
.
Schreibt eine mit Herzblut, wird sie stehenden Fußes ausgepfiffen, als hätte sie gerade einen Elfmeter haushoch über die Torlatte geknallt.
Ich schreibe auch gerne mit Blut und vor allem auf portugiesisch, auch wenn diese pickigwarmen Lebenstropfen bei mir aus anderen Gefäßen stammen... die auch rund und teilweise rot sind und ab und zu pulsieren... wenn auch nicht mehr so oft wie früher.
Schließlich ist der einzige Sport, den mein Übergewicht erlaubt, das Heben von Bier - und Weingläsern.

segunda-feira, 27 de setembro de 2010

Abenteuer mit Büchern


Diesen Text schrieb ich voriges Jahr für das im März 2010 erschienene Literaturmagazin aus Kapfenberg und Umgebung, "Reibeisen" genannt.
.
Es ist mir bis heute noch unklar, ob der Text überhaupt abgedruckt worden ist.
.
Ich könnte nachfragen - es gibt leider keine virtuelle Ausgabe vom Reibeisen -,
aber das würde nichts an meiner unbescheidenen Meinung ändern, was so die eigenartigen Kriterien und allgemeinen Schönheitsbegriffe meiner alten Freunde und Kapfenberger Literaten angeht.
.
.
.

Vieleicht denke ich gerade jetzt gerne über Bücher nach, weil Menschen, die mir viele jener rechteckigen Volumen in die Hand gedrückt haben, einen runden Geburtstag feiern.
Der in Kapfenberg geborene und aufgewachsene Buchautor Herbert Zinkl feierte unlängst und am 30. Oktober 2009 seinen 80er.
Unser gemeinsamer Freund, der Galerist und künstlerische Tausendsassa Hannes Pirker wird am 22.12.2010 achzig.
Hans Bäck, Literaturkritiker, Förderer guter Texte, Autor, Urgestein des Europa-Literaturkreises Kapfenberg und zwischendurch Unternehmerberater wird heuer und am 12. Oktober 70.
Der in Bruck an der Mur geborene, in Arndorf aufgewachsene Max J. Hiti, der sein Leben der Lyrik und seit Jahrzehnten seinen Schülern und der Kultur in Fürstenfeld und Umgebung widmet, feiert dieses Jahr ebenfalls seinen siebziger.
Mein Bruder Hans Ewald Lackinger, der seinen 70er am 2. Juli 2010 hätte, konnte es leider nicht erwarten, den Herrgott in jener einzigen Situation kennenzulernen und ist ihm am 27. Dezember 1997 mit offenen Armen entgegen und in den Mercedes gelaufen.
José Joaquim Pontes Mota, mein Freund und Portugiesischlehrer aus Lissabon starb am selben 27.12.97 und der baianische Cartoonist Hélio Roberto Lage vor etwa 3 Jahren. Beide wären heuer 65 geworden.
.
Wie alt war ich, als ich begann, mich mit Büchern zu befassen, meine Mutter in die Werksbücherei zu begleiten, wo ich in Brehms Tierleben schnüfeln durfte?
.
Bibliotheken und Buchhandlungen waren für mich Kapfenberger Buben dem Schönen geweihte Tempel, in denen ich vor Ehrfurcht zitterte.
Karl und Grete Lasetzky oblag die Rolle der Hohepriester und Schatzmeister zugleich.
.
Mit 10 "wenn ich mich nicht irre..." versuchte ich Winnetou I zu lesen, kam damals aber nicht über die erste Seite hinaus... Vielleicht schmiß ich das Buch mit dem Bärentöter sogar schon beim ersten Absatz in den Kukurutz.
.
So manches Buch las ich leider viel zu früh, verstand seine Botschaft erst Jahre oder sogar Jahrzehnte später... wenn überhaupt.
Mitten in dieses Unvermögen, auf und auch zwischen den Zeilen zu lesen, sproß der Wunsch in mir, Schriftsteller zu werden.
Die Honorare meiner Bestseller würden es mir erlauben, in einem tropischen Paradies zu leben, unweit malerischer Palmenstrände und einem gemütlichen Restaurant mit interessanten Schmankerln und eiskalten Getränken.
Phantasie ist neben Unbescheidenheit und Selbstmitleid die wichtigste Qualität eines beinahe erfolgreichen Bestsellerautoren.
Karl May mußte sich bei annähernd 80 Romanen abrackern... Georges Simenon soll über 400 Titel geschrieben haben. Mickey Spillane wurde indessen mit nur 7 Büchern weltberühmt und steinreich. Na bitte!
.
- Schreib etwas Wahres -, riet mir mein Bruder, der damals und anfangs der 60er Jahre noch Germanistik studierte, ehe er sich bei den Vereinigten Bühnen in Graz als Violinist und Berufsmusiker verdingte. - Ein Schriftsteller braucht eine eigene Weltanschauung, ein eigenes Schicksal -, sagte er und gab mir mein Geschreibsel zurück, das nur aus mangelhaften Karikaturen von Hemingways Short Stories bestand.
.
Nach Schlosserlehre und Bundesheer dachte ich, es wäre eine gute Idee, als Entwicklungshelfer in irgendeinem Projekt in Übersee mitzuarbeiten. Die dabei gesammelten Erfahrungen würden mich meinem Ziel näherbringen.
.
Die Reise begannper Bahn nach Genua, mit dem Schiff nach Rio de Janeiro. Mittels Omnibus und Jeep gelangte ich schließlich zu meinem Einsatzort, dem heute noch mittelalterlich anmutenden, zweistöckigen Zisterzienserkloster Jequitibá im nordostbrasilianischen Hinterland.
Eine Gegend, die einen an die Gravuren eines Lucas Cranach erinnert, oder an einen Jurassic Park...
Nachdem ich also mehr als zehntausend Kilometer zurückgelegt hatte, kam ich scheinbar nicht in Brasilien und in einem tropischen Land an, sondern es war mir, als wäre ich stehenden Fußes nach Österreich zurückgekehrt.
Ins Österreich des achzehnten Jahrhunderts.
.
Hätte ich es damals verstanden, mein Schicksal "vom Blatt" zu lesen, wäre es mir wahscheinlich gelungen, brauchbare Texte über meine eigenartigen Geschicke in meiner neuen unerwarteten Umwelt mit unwirtlicher Klosterzelle zu verfassen.
.
Der brasilianische Alltag, gemischt mit Szenen, wie wir sie aus Umberto Ecos "Der Name der Rose" kennen, fügte meiner einst so regen Phantasie eine zuckerhuthohe Niedelage nach der anderen zu.
Anstatt zu schildern, wie ich mich als Kapfenberger Böhlerianer unter monastischen Würdenträgern, Klosterbrüdern und anderen Entwicklungshelfern - ausschließlich vom Land und aus dem Mühlviertel stammenden, und die Hierarchie eines Bauernhofs gewohnt - in Jequitibá fühlte...
Anstatt über meinen Einsatzort inmitten endloser Ochsenweiden zu schreiben, vom langweiligen Kreuzgang und den Gregorianischen Gesängen der Mönche zu erzählen...
Anstatt mitzuteilen, wie ich mich in jenem Ort wie ein Fisch aus dem Wasser vorkam, stieg ich aus, trennte die Nabelschnur, die mich in Form von Sozialversicherung zur alten Heimat band, ab und blieb in Salvador, Bahia.
.
Trotz aller tragikomischen Erlebnisse sah ich mich nicht in der Lage, meine mehr oder weniger exotischen Miss-Geschicke zu beschreiben, brauchbare Texte zu produzieren. Ich spürte immer mehr und mehr, daß mir noch etwas Wichtiges fehlte, wußte aber nicht was! Ich versteckte mich deshalb hinter Schulbüchern, studierte Betriebswirtschaft, sowie die Kultur und Sprache der Yorubás, Ethnie einstiger aus Westafrika ins Land gezerrter Sklaven...
.
Während erst gestern und unlängst nach Brasilien gekommene AutorInnen vielerlei Büche über dieses bezaubernd verrückte Land schreiben... mit der selben Gewißheit und Überzeugung, mit der Hollywood epische Filme dreht, beschäftigte ich mich mit dem Kennenlernen dieser gigantischen Nation, ernährte ich mich als freischaffender Schlosser, stellte gepanzerte Safes her, Schablonen für Petaloidflaschen und Extrusionswerkzeuge für Hohlziegel.
.
Es war, als täten sich mir täglich neue Türen auf, die mich in ein bisher unbekanntes Brasilien führten.
Wie, so frage ich mich, lesen andere AutorInnen aus der Geschichte um Bücher zu verfassen? Auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 zurückgreifend finde ich wenige Schiftsteller, Dramaturgen und Lyriker, die jene Geschehnisse damals und an Ort und Stelle "vom Blatt lasen" und niederschrieben.
Heute könnte man Fußballstadien mit Autoren füllen, die tonnenweise Manuskripte über Themen aus jener Zeit und den Kriegswirren produzieren.
.
Wie konnte ich seit meiner Ankunft in diesem gigantischen Land etwas Wahres über meine brasilianische Umwelt schreiben, wenn ich täglich mit neuen bahianischen Unmöglichkeiten und Absurditäten überflutet wurde?
.
Wozu aber diese meine Bemühungen? Mittlerweile waren genug Bücher über Brasilien verlegt worden, deren Inhalt an den Readers Digest erinnert.
.
Ausserdem wurden im virtuellen Literaturkreis Stimmen laut die fragten, wie viel Wirklichkeit Literatur tatsächlich nötig habe... Literatur brauche eigentlich und genau genommen gar keine Wirklichkeit, hieß es bereits in der selben e-mail nur zwei Zeilen tiefer. Es komme auf die Sprache an, auf den Stil. Bücher schaffen ihre eigene Wirklichkeit, ihre eigene Welt, hieß es da.
.
Unerhört! Das sagt man mir nun erst jetzt, nachdem ich mein ganzes Leben, oder wenigstens in 50 von meinen 63 bisherigen Lebensjahren möglichst exotische Wirklichkeiten zu verstehen suchte, einer eigenen Welt und dem Schreiben meine Existenz opferte.
Der Traum, eine riesige Leserschaft mit meinen brasilianischen und drittweltlichen Texten zu beglücken war nun endgültig geplatzt.
.
Da sitze ich nun im tropichen Stadteil Barra von Salvador, Bahia, Brasilien, unweit malerischer Festungen an Palmenstränden und denke über Bücher nach.
.
Die Antwort einer jungen Literatin auf jene mich zerschmetternde e-mail weckt mich aus aus meinem Selbstmitleid und der Gewißheit, nie im Leben einen Bestseller zustande zu bringen.
Sie meint, Wirklichkeit solle nicht vollkommen beiseite gelegt werden. Realität sei sogar Salz und Pfeffer der Literatur! Dann erzählte sie von Lesern, die sich angesichts ihrer Geschichten wie Detektive benehmen, herauszufinden suchen, wer wohl in Wirklichkeit mit dieser oder jener romanzierten Figur gemeint sei...
Sie griff bei jener Erklärung sogar auf Werke von Thomas Bernhard zurück...
.
In letzter Zeit erinnen mich die kiloschweren Romane, die mir liebe Freunde zu Weihnachten aus Mitteleuropa schicken immer mehr und mehr an jene Bücher mit seltsam gefaltenen Blättern. Kartonierte Seiten, die sich beim Um - und Weiterblättern zu Häusern und Bäumen und Menschen aufrichten...
.
Natürlich wird mir Hans Bäck bei dieser Aussage sofort ins Wort fallen.
Wenn es einen guten Grund gibt, sich zu streiten, dann über Bücher!
Da sprießen unterschiedliche Meinungen hurtiger als Schwammerl in einer schwülen Sommernacht.
Es wurde bei Literaturdiskussionen schon mancher grüne Knollenblätterpilz aufgetischt und viele ungenießbare Schwämme blieben dann monate, - bis jahrelang im Magen liegen.
Wenn beim heuer 70 werdenden Hans Bäck eine Qualität hervorgehoben werden muß, dann unbedingt auch die Tatsache, daß wenn auch ab und zu die Fetzen fliegen... er stets einlenkt, auf daß wieder Friede und Eintracht herrsche im Literaturkreise Kapfenberg...
Jedenfalls bis zur nächsten Keilerei.
.
Vor dem Weggehen lese ich noch rasch die Reaktion eines Gastes über meine letzte Werbungsmail und "direkten Postkoffer", von mir spaßhalber "henkelloser Postkoffer" des Bistrô PortoSol genannt.
Das gemütliche Gasthaus unweit vom tropischen Palmenstrand aus meinen Wunschträumen hat nur einen Pferdefuß: ich bin dort nicht Gast, sondern Wirt. Prost!
.
Ausserdem lese ich immer weniger Bücher... aus Zeitmangel und fehlendem Interesse... Letzteres soll altersbedingt sein, habe ich mir sagen lassen.
Heute lese ich besser aus meiner exotischen Umwelt, aus den Gesichtern einer bunten und mehr oder weniger dunkelhäutigen Menschenmasse, die jeden Abend vor meinem Beisl vorbeizieht. Die abfällige und aggressive Geste einer unangenehmen Figur, die den leeren Plastikbecher, aus dem sie gerade noch getrunken hat, wenige Meter vor mir auf den Asphalt wirft, erzählt mir von jenen Stiefkindern unserer ungleichen Gesellschaft.
.
Himmel und Hölle liegen hier in Salvador nicht weiter auseinander als noble Behausungen von Favelas und Elendsviertel. Oft trennen nicht mehr als 10 Meter "Herrenhaus" und "Sklavenhütte".. ein paar Bananenstauden vielleicht und eine Stiege, die zu weiteren improvisierten Behausungen hinter hohen Mauern führt... Vielleicht wäre ich heute bereits in der Lage, meine Geschicke "vom Blatt" zu lesen, um brauchbare Texte zu schreiben.
Für wen aber? Für Leser wie ich einer war und heute noch bin?
Für mitteleuropäische Buchkonsumenten, deren Augen lieber über voluminöse Bildbände mit Kochrezepten und Wanderwegen gleiten, deren Hände immer seltener nach Büchern mit mehr oder weniger kritischen Texten greifen?
.
Dabei erinnere ich mich an ein Bild, das vor Monaten via Internet über den Globus lief:
Hugo Chávez überreichte damals dem überlegen grinsenden Barack Obama das Buch "Die offenen Adern Lateinamerikas" von Eduardo Galeano... Im Hintergrund lacht auch Hillary Clinton mit weit aufgerissenem Mund, als wollte sie ihren eigenen Ohrschmuck verschlucken. Ich hätte damals gerne gewußt, was Hillary in jenem Moment so hilarious und komisch fand. Bei Publikationen über Auschwitz und Mauthausen lacht ja auch kein Mensch... oder?
.
Übrigens feiert Eduardo Galeano am 3. September 2010 seinen siebziger.
.
Salvador, Bahia, Brasilien, 22.Juni 2009
.
Reinhard Lackinger

domingo, 26 de setembro de 2010

Zwei Fabeln aus Brasilien


.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Osterfabel mit Osterhasen, Schweinen und Schafen
.
Eberhard und Rosaura sitzen im Zug nach Unterstübming.
Schweigend betrachten sie die bedächtig vorbeiwandernden Bergkuppen.
Der Himmel trägt die für diese Jahreszeit wie maßgeschneiderte Helligkeit.
Eberhard freut sich auf Röhrlsalat.
Seine neben ihm und am Fenster sitzende Rosaura freut sich mit ihm und auf Kaiserschmarrn.
.
Das Rucken der Waggons an der Station Hasenhütte, das mehr oder weniger rhythmische Trampeln, die Luft der auf-und zugehenden Türe bringt neue Passagiere in den Großraumwaggon.
.
- Schau Mutti, ein Wildschwein -, sagt das kleine Häslein, setzt sich zurecht, starrt mit großen roten Augen ihre neuen Gegenüber an.
- Kusch - sagt die Häsin, legt ihre Vorderpfote auf die ihres kleinen Schatzes.
- Es gehört sich nicht, mit der Pfote auf andere Lebenwesen zu zeigen...
Enschuldigen Sie bitte mein vorlautes Kind -, sagt die Häsin, sich an das fremde Paar wendend, während sie die beiden Rucksäcke zurechtrückt.
- Sie wissen ja wie schwierig es ist, ein Kind zu erziehen. Umso schwieriger, wenn man 187 Kinder hat wie ich und jedes in eine andere Richtung schnuppert... entschuldigen Sie bitte... aber ich selbst habe auch noch nie in meinem Leben ein Wildschwein gesehen. -
.
- Eberhard ist kein Wildschwein - korrigiert Rosaura die etwas naiv dreinschauende Häsin.
- Mein Eberhard ist von hier und ein authentischer Einheimischer. Er schaut nur aus wie ein Wildschwein, ist aber keins, sondern nur ein verwildertes Schwein.
.
- Ich bin in dieser Umwelt geboren und als normales Stalltier aufgewachsen, dann aber ausgerissen und in die Wildnis gezogen - , erklärt Eberhard.
.
Erneutes Rucken reißt vorübergehend das Gespräch ab. Die Häsin tastet besorgt auf die Rucksäcke, die beiden beborsteten Passagiere beobachten wie hypnotisiert die immer schneller vorbeihastenden Sträucher und die Steine am Bahndamm, während sich die Berge im Hintergrund in Zeitlupe zu bewegen beginnen, an jurassische Dickhäuter erinnernd.
.
- Wir fahren auf Urlaub nach Unterstübming - erzählt Rosaura.
- Mein Eberhard stammt aus jenem Ort. -
.
- Und ich habe dort bunt bemalte Eier abzugeben -, sagt die Häsin.
.
- Osterhasen... dann gibt es sie hierzulande doch! -, die Stimme Rosauras ist voll Bewunderung.
.
- Eine Legende, aus der wir eine Marktlücke erschnupperten -, erklärt die Häsin.
- Kaum konnten einst die Menschen nach der Schneeschmelze aus ihren Winterfenstern und auf die grün werdende Natur sehen, erspähten sie uns auch schon.
Wir, die es wagten, in ihrer unmittelbaren Umgebung nach Futter zu suchen.
Was geschah, sie brachten uns mit dem Brauchtum der versteckten Eier in Verbindung. Sie dichteten uns Hasen an, Ostereier zu bemalen und zu verstecken.
Und was taten unsere Vorfahren? Sie begannen Ostereier zu produzieren, machten aus einem Vorurteil einen Vorteil und ein gutes Geschäft. -
.
- Menschen sind mit Vorurteilen schnell bei der Hand - sagt Ebehard. - Kaum sehen sie ein Wildschwein, denken sie auch schon und nur an Flurschäden... -
.
- ...und an die Delikatessen, die aus Wildschweinfleisch zubereitet werden können -, ergänzt Rosaura.
.
Die Tür zum Waggon geht wieder auf und eine Herde bewollter Figuren drängt an den Bänken vorbei.
Das Kleinste von ihnen schaut sie mit neugierigen Augen an.
- Agnes - blökt es mahnend im Hintergrund, dann trottet der kleine ambulante Wollballen weiter.
.
- Schafe sind voller Dünkel - sagt die Häsin.
- Besonders zu dieser Jahreszeit.... und wegen den wiederholten Ausrufen der Priester:
"Lamm Gottes, Lamm Gottes"... sind sie nicht mehr zu ertragen.
Dabei haben sie gar keine Ahnung, was "Lamm Gottes" überhaupt bedeutet.
Dumm wie die Schafe sind, verstehen sie jene religiöse Symbologie nicht, verharren nur an den vereinfachten Beziehungspunkten, die sie für vorteilhaft halten.
.
- ... Und uns dichten die Menschen sofort Negatives an....bestenfalls nicht gerade Lobenswertes - sagt Rosaura.
.
- Lamm Gottes, Lamm Gottes - murmelt die Häsin, Rosauras Kommentar ignorierend, mit aufgeregt wippenden Schnurrbarthaaren.
- Wenn Tieren etwas Göttliches nachgesagt werden kann, dann uns Hasen... und das seit den Nahua-Indianern in Mexiko und bei den Tolteken und Azteken. Da waren wir Hasen bereits für den Tequila zuständige Hilfsgötter, zu deren Ehre sogar Pyramiden errichtet wurden. -
.
- Hart gekochtes Ei, gehackt, über den bereits fertigen Röhrlsalat gestreut... - sagt Eberhard zu sich selbst, schluckt, schaut wie gedankenverloren auf die sich herdrehenden Berge.
.
- Du wirst doch nicht wieder deinen ehemaligen Hof besuchen, die Tiere - Ochsen, Schweine, Hühner - mit deinen anzüglichen Reden quälen wollen -, sagt Rosaura.
.
- Sind alle schon verkauft oder geschlachtet, zu Steaks oder Kotelette oder Schinken oder Wurst verarbeitet. -
.
- Mir ist lieber, du ziehst über das scheinbar einzige Interesse der Nutztiere her.
Über die Erwägungen ihrer Chancen bald und möglichst viel Gnadenbrot genießen zu können. Deine Rede über Fleisch - und Wurstwaren schockiert mich. -
.
- Ich wollte, ich könnte mir die Auferstehung des Fleisches vorstellen -, sagt Eberhard.
.
- Die germanische Frühlings - und Fruchtbarkeitsgöttin Ostera soll auch eine Häsin sein ... oder wenigstens einen Hasenkopf haben -, sagt die Osterhäsin, ohne sich um das parallele Gespräch der beiden Schweine zu kümmern.
.
- Je mehr ich ans Pökeln, Faschieren, Wursten und Räuchen denke, umso schwieriger scheint es mir, das Geheimnis der Auferstehung zu ergründen -, sagt Eberhard.
.
- Vielleicht ist es gut und sozusagen gottgewollt, daß uns Schweinen das Verständnis um die Auferstehung des Fleisches verborgen bleibt... wie gut versteckte Ostereier im Urwalddickicht eines Igarapés am Amazonas - sagt Rosaura.
.
- Braven Stallschweinen vielleicht. Wir, die wir in der Wildnis leben, haben ein anderes Bewußtsein, sehen vieles klarer als die vom Bauern und vom Tierarzt umsorgten Gnadenbrotgenießer und Schinkenkandidaten. Wildnis mit steter Bedrohung wirkt bewußtseinserweiternd. Unser Verständnis der Dinge ist nicht von dieser Stallwelt... -
.
- Die feinen Herrschaften sind also etwas Besonderes, etwas Besseres -, sagt die Häsin, die es mittlerweile aufgegeben hat, die beiden von der Wichtigkeit und der Himmelsnähe der Osterhasen zu überzeugen.
- Die feinen Herrschaften machen Tourismus, während alle anderen arbeiten.
Die noblen Reisenden nörgeln, bekritteln und bemängeln, während wir Positives leisten... -
der Schnurrbart der Häsin bebt. Die roten Augen des kleinen Löfflers waren um ein Drittel größer als zuvor.
- Da lobe ich mir die Stinktiere, die Blutegel und Zecken, die Schlangen und Fledermäuse. Die täuschen wenigstens keinen. -
.
- Wird noch lange dauern, bis sich der Vegetarismus weltweit durchsetzt. Bis jedermann zu Ostern anstatt Schinken Röhrlsalat ißt -, sagt Eberhard.
.
-... und je mehr Kaiserschmarrn, umso weniger bunte Ostereier -, ergänzt Rosaura.

An der Bahnstation Neu Emaus steigen sie aus. Eberhard und Rosaura folgen dem Kiesweg talabwärts in Richtung Unterstübming. Sie haben keine Eile. Ausserdem sind die Löwenzahnblätter in jenen schattigen Höhen noch zarter als weiter unten im Tal. Auch scheint es leichter, über Emaus nachzudenken als über die Auferstehung des Fleisches.



Reinhard Lackinger
.
.
.
Tiere auf der Stör

Fabel

- Servus alter Packan, sei mir gegrüßt -, ruft Eberhard dem herbeilaufenden Hund entgegen.
.
Dieser kommt, schnuppert rasch, verliert jedoch keinen weiteren Augenblick mit den beiden weitgereisten Schweinen, macht kehrt, überquert den Platz, gesellt sich zu einem wunderlichen Trio: ein Esel, eine Katze, ein Hahn.
.
Ehe Eberhard sich von jenem unerwarteten Zusammentreffen sammelt, verschwindet das Quartet auch schon in einer Seitenstraße.
.
- Im Vergleich zu Helden geraten Urheber unrühmlicher Erreignisse und anderer Ungeschicktheiten schneller in Vergessenheit -, sagt Rosaura.
.
- Sie werden verdrängt, sagen die Spezialisten tierischer Seelen -, ergänzt der neben ihr einhertippelnde Wandergefährte.
.
- Andere hätten dich erst gar nicht beachtet, sondern strategisch den Gehsteig gewechselt.-
.
- Der alte Packan stammt vom selben Hof wie ich! -
.
- Nur Elefanten würden sich heute noch an dich, an Eberhard, den verwilderten Saubären erinnern - .
.
- In Unterstübming war noch nie ein Dickhäuter. Exotische Kreaturen, wenn überhaupt, kriegten die da nur beim Zirkus zu Gesicht... und nicht von der Nähe.
Hierzulande ist man nach wie vor nur ganz gewöhnliche, alpenländische Nutztiere gewohnt -, behauptet Eberhard.
.
Die beiden Schweine und auch die Gedanken laufen weiter.
.
- Alpenländische Stalltiere leben in Frieden mit ihrer Umwelt -, denkt der verwilderte Saubär halblaut vor sich hin atmend.
.
- Vielleicht ist aus der Warte der hiesigen Vieher das Wort "Frieden" nicht besonders glücklich gewählt.
.
Vielleicht sollte man von einer harmonischen Beziehung zu ihrer ländlichen Umwelt sprechen.
Von früh bis spät, von Jahr zu Jahr die selbe einträchtige Routine...
... unterbrochen nur durch jene dunklen Tage eigenartiger Betriebsamkeit und wortlosem Hantieren mit besonderen Utensilien wie Stapelbehälter, Messer, Fleischhacken, Knochensäge und dergleichen.

Dem betretenen Schweigen folgt dann wie immer der Alltag, der Drang zum Futtertrog, das Summen der Melkmaschine, das Rattern des Traktors und das Krähen des Hahns am nächsten Morgen. Furchtbare Langeweile, meinst du nicht? -
.
- Eine würdige und bunte Unterbrechung der bauernhöfischen Eintracht bedeuten nur deine spärlichen Besuche, nicht wahr ? - neckt Rosaura.

- "Saubär, der als einst als Ferkel dem Gehöft entsprungen war und in die Wildnis zog, kehrt als erfolgreiches Auslandsschwein in seine Heimat zurück..." So und nicht anders müßte es auf der ersten Seite des Lokalblattes abgedruckt werden, nicht wahr ? -

- ... wie aber schaut das nun wirklich aus? - fragt Rosaura. - Du kommst nach vielen Jahren wieder, unangemeldet, schlüpfst in die Rolle des Touristen, zeigst dich den daheimgebliebenen Artsgenossen mit anmaßender Hochrüsseligkeit.
Deine Reden, eine immerwährende Apologie, eine Lobeshymne auf die Existenz in der Wildnis, die schon keiner mehr hören will.
Eberhard, Saubär... Eber und Angeber!
Sag, was erwartest du dir davon, wenn du das Leben der Nutztiere - deine ehemaligen Stallgefährten - verhöhnst bei deinen Besuchen.
Was, frage ich dich, sollen die brav im Stall gebliebenen Tiere damit anfangen, wenn du sagst, Lebewesen kämen nur in der Wildnis und abseits sozialer Gewißheit zu vollkommener Entfaltung.
Wozu soll deine Behauptung gut sein, die Vieher hätten keine Ahnung von der großen Welt und sie würden scheinbar nur ein einziges Gesprächsthema kennen: Erwägungen um ein möglichst großes Gnadenbrot...
Sei froh daß die Stalltiere, besonders die Ochsen zahm und geduldig sind bis zur Apathie. Geduldig und vor allem großzügig und lassen dich gewähren. Das letztemal jedenfalls noch.
Du kennst aber kein Maß, du treibst es eines Tages zu bunt und dann werden sie dich verbellen, dich beissen... möglicherweise werde auch ich nicht geschont werden... -
Rosauras Äugelein glänzen besorgt.
.
Kaum sagt sie das, stoßen sie auf eine Gruppe langbeiniger Geschöpfe, vollbepackt mit riesigen Ballen.
Neun Dromedare ziehen kauend an ihnen vorbei, talaufwärts.
.
Eberhard steht mit weit offenem Maul da und schaut der Karavane schweigend nach.
.
- Ich habe zwar schon von einer "Osterweiterung" gehört, aber das geht doch entschieden zu weit - sagt Eberhard, schüttelt seinen Sauschädel.
.
Da rennt auch schon ein gefiedertes Wesen aus dem Schatten eines Hauseinganges und über ihren Weg.
.
- Gerlinde Leghorn! - ruft Eberhard überrascht aus. - Servus Linde! Wie geht es dir? Was machst du da mitten in der Stadt?

Die Henne mustert das Schweinepaar mit geneigter Seite des Geflügelkopfes.
.
- Delivery! -, sagt sie. - Besonderer Kundendienst! Der Bauer hat eine Marktlücke entdeckt. Einige von uns legen die Eier nicht mehr im Stall, sondern direkt im Hause des Konsumenten. Das stimmt uns zwar nicht glücklicher, bewahrt uns aber vor dem Suppentopf.
Stell dir vor, in einem Nachbargehöft verdient sich der Landwirt ein paar Cents, indem er Verbraucher zuläßt, in den Stall einlädt, damit sich jeder an älteren Hennen wie mich vergreift, sie mitnimmt. Einfach so, als wäre unsereins nichts weiter als ein Sack Erdäpfel, ein kleiner -, gackert Gerlinde Leghorn entrüstet und läuft weiter.
.
Unterwegs trifft das wandernde Schweinepaar auf weitere Vieher.
Normale Nutztiere. Sie fallen den beiden Fremdlingen nur deshalb auf, weil sie ausserhalb ihres Habitats weilen, abseits ihrer gewohnten Umwelt: der Stall.
.
Einige Tiere tragen Lasten, andere wiederum Schilder mit Propaganda wie:
"Romys silomilchfreier Alphornkäse" oder "Natürlich ist guter Rat teuer... aber nicht eingeholter Rat kommt viel teuerer"...
.
Eberhard ist ratlos.
.
Als er Auer, dem Stier begegnet, weiß er gar nicht mehr, was er denken soll.
Das männliche Rindvieh, geschmückt wie beim Almabtrieb, gleicht einem ambulanten Christbaum.
.
- Servus Auer, wohin so eilig? -
- Frag mich nicht so Schweiniges, du Sau! - muht der Stier belustigt und trottet frohen Mutes von dannen.
.
Auf dem Gehöft unweit von Unterstübming herrscht seltsame Ruhe.
Insekten summen, Tasso döst im Schatten des Lindenbaumes vor sich hin, sonst ist kein Lebenwesen zu sehen.
.
- Servus Tasso, wie gehts -, fragt Eberhard, bemüht sich so freundlich wie möglich zu sein. Rosaura hinter ihm senkt besorgt den Kopf.
.
Der Hund öffnet kurz die Augen, dann aber schließt er sie wieder.

- Sag, was ist denn los hier? Zuerst treffe ich Packan in eigenartiger Gesellschaft, dann die vielen Dromedare, ein Huhn das fremdgeht... ein Stier scheinbar auch... Ich vertstehe diese mir einst so vertraute Umwelt nicht mehr... -
.
- Ist mir Wurst -, knurrt Tasso.
.
- Wie soll ich die Worte verstehen, die ich unterwegs aufgefangen habe? Der eine sprach von Lebensmittelpreisen, die andere von Delivery, von Marktnischen, andere wieder von Konkurrenz, Weltmarkt. Stocks und Kompetition, von überhöhten Kosten der Arbeit und der Sozialleistungen...
Du, ich habe Angst zu fragen... aber... ist es möglich daß die braven Stalltiere alle auf der Stör sind? -
.
- Stör mich nicht! Siehst du nicht, daß ich schlafen möchte ? - klingt es ungeduldig aus Tassos Maul.
.
- Warum arbeitest nur du nicht? -

- Ich bin bereits im Ruhestand. Frührente, verstehst du? Ich genieße mein wohlverdientes Gnadenbrot -
.
- Wo wird das hinführen? Die Welt steht Kopf! Ich verstehe meine alte Heimat nicht mehr! -
.
- Ist mir Wurst! Ab morgen bin ich auf Sommerfrische in Lignano! So, und jetzt haut ab, ich will schlafen -.