segunda-feira, 27 de setembro de 2010

Abenteuer mit Büchern


Diesen Text schrieb ich voriges Jahr für das im März 2010 erschienene Literaturmagazin aus Kapfenberg und Umgebung, "Reibeisen" genannt.
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Es ist mir bis heute noch unklar, ob der Text überhaupt abgedruckt worden ist.
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Ich könnte nachfragen - es gibt leider keine virtuelle Ausgabe vom Reibeisen -,
aber das würde nichts an meiner unbescheidenen Meinung ändern, was so die eigenartigen Kriterien und allgemeinen Schönheitsbegriffe meiner alten Freunde und Kapfenberger Literaten angeht.
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Vieleicht denke ich gerade jetzt gerne über Bücher nach, weil Menschen, die mir viele jener rechteckigen Volumen in die Hand gedrückt haben, einen runden Geburtstag feiern.
Der in Kapfenberg geborene und aufgewachsene Buchautor Herbert Zinkl feierte unlängst und am 30. Oktober 2009 seinen 80er.
Unser gemeinsamer Freund, der Galerist und künstlerische Tausendsassa Hannes Pirker wird am 22.12.2010 achzig.
Hans Bäck, Literaturkritiker, Förderer guter Texte, Autor, Urgestein des Europa-Literaturkreises Kapfenberg und zwischendurch Unternehmerberater wird heuer und am 12. Oktober 70.
Der in Bruck an der Mur geborene, in Arndorf aufgewachsene Max J. Hiti, der sein Leben der Lyrik und seit Jahrzehnten seinen Schülern und der Kultur in Fürstenfeld und Umgebung widmet, feiert dieses Jahr ebenfalls seinen siebziger.
Mein Bruder Hans Ewald Lackinger, der seinen 70er am 2. Juli 2010 hätte, konnte es leider nicht erwarten, den Herrgott in jener einzigen Situation kennenzulernen und ist ihm am 27. Dezember 1997 mit offenen Armen entgegen und in den Mercedes gelaufen.
José Joaquim Pontes Mota, mein Freund und Portugiesischlehrer aus Lissabon starb am selben 27.12.97 und der baianische Cartoonist Hélio Roberto Lage vor etwa 3 Jahren. Beide wären heuer 65 geworden.
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Wie alt war ich, als ich begann, mich mit Büchern zu befassen, meine Mutter in die Werksbücherei zu begleiten, wo ich in Brehms Tierleben schnüfeln durfte?
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Bibliotheken und Buchhandlungen waren für mich Kapfenberger Buben dem Schönen geweihte Tempel, in denen ich vor Ehrfurcht zitterte.
Karl und Grete Lasetzky oblag die Rolle der Hohepriester und Schatzmeister zugleich.
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Mit 10 "wenn ich mich nicht irre..." versuchte ich Winnetou I zu lesen, kam damals aber nicht über die erste Seite hinaus... Vielleicht schmiß ich das Buch mit dem Bärentöter sogar schon beim ersten Absatz in den Kukurutz.
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So manches Buch las ich leider viel zu früh, verstand seine Botschaft erst Jahre oder sogar Jahrzehnte später... wenn überhaupt.
Mitten in dieses Unvermögen, auf und auch zwischen den Zeilen zu lesen, sproß der Wunsch in mir, Schriftsteller zu werden.
Die Honorare meiner Bestseller würden es mir erlauben, in einem tropischen Paradies zu leben, unweit malerischer Palmenstrände und einem gemütlichen Restaurant mit interessanten Schmankerln und eiskalten Getränken.
Phantasie ist neben Unbescheidenheit und Selbstmitleid die wichtigste Qualität eines beinahe erfolgreichen Bestsellerautoren.
Karl May mußte sich bei annähernd 80 Romanen abrackern... Georges Simenon soll über 400 Titel geschrieben haben. Mickey Spillane wurde indessen mit nur 7 Büchern weltberühmt und steinreich. Na bitte!
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- Schreib etwas Wahres -, riet mir mein Bruder, der damals und anfangs der 60er Jahre noch Germanistik studierte, ehe er sich bei den Vereinigten Bühnen in Graz als Violinist und Berufsmusiker verdingte. - Ein Schriftsteller braucht eine eigene Weltanschauung, ein eigenes Schicksal -, sagte er und gab mir mein Geschreibsel zurück, das nur aus mangelhaften Karikaturen von Hemingways Short Stories bestand.
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Nach Schlosserlehre und Bundesheer dachte ich, es wäre eine gute Idee, als Entwicklungshelfer in irgendeinem Projekt in Übersee mitzuarbeiten. Die dabei gesammelten Erfahrungen würden mich meinem Ziel näherbringen.
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Die Reise begannper Bahn nach Genua, mit dem Schiff nach Rio de Janeiro. Mittels Omnibus und Jeep gelangte ich schließlich zu meinem Einsatzort, dem heute noch mittelalterlich anmutenden, zweistöckigen Zisterzienserkloster Jequitibá im nordostbrasilianischen Hinterland.
Eine Gegend, die einen an die Gravuren eines Lucas Cranach erinnert, oder an einen Jurassic Park...
Nachdem ich also mehr als zehntausend Kilometer zurückgelegt hatte, kam ich scheinbar nicht in Brasilien und in einem tropischen Land an, sondern es war mir, als wäre ich stehenden Fußes nach Österreich zurückgekehrt.
Ins Österreich des achzehnten Jahrhunderts.
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Hätte ich es damals verstanden, mein Schicksal "vom Blatt" zu lesen, wäre es mir wahscheinlich gelungen, brauchbare Texte über meine eigenartigen Geschicke in meiner neuen unerwarteten Umwelt mit unwirtlicher Klosterzelle zu verfassen.
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Der brasilianische Alltag, gemischt mit Szenen, wie wir sie aus Umberto Ecos "Der Name der Rose" kennen, fügte meiner einst so regen Phantasie eine zuckerhuthohe Niedelage nach der anderen zu.
Anstatt zu schildern, wie ich mich als Kapfenberger Böhlerianer unter monastischen Würdenträgern, Klosterbrüdern und anderen Entwicklungshelfern - ausschließlich vom Land und aus dem Mühlviertel stammenden, und die Hierarchie eines Bauernhofs gewohnt - in Jequitibá fühlte...
Anstatt über meinen Einsatzort inmitten endloser Ochsenweiden zu schreiben, vom langweiligen Kreuzgang und den Gregorianischen Gesängen der Mönche zu erzählen...
Anstatt mitzuteilen, wie ich mich in jenem Ort wie ein Fisch aus dem Wasser vorkam, stieg ich aus, trennte die Nabelschnur, die mich in Form von Sozialversicherung zur alten Heimat band, ab und blieb in Salvador, Bahia.
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Trotz aller tragikomischen Erlebnisse sah ich mich nicht in der Lage, meine mehr oder weniger exotischen Miss-Geschicke zu beschreiben, brauchbare Texte zu produzieren. Ich spürte immer mehr und mehr, daß mir noch etwas Wichtiges fehlte, wußte aber nicht was! Ich versteckte mich deshalb hinter Schulbüchern, studierte Betriebswirtschaft, sowie die Kultur und Sprache der Yorubás, Ethnie einstiger aus Westafrika ins Land gezerrter Sklaven...
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Während erst gestern und unlängst nach Brasilien gekommene AutorInnen vielerlei Büche über dieses bezaubernd verrückte Land schreiben... mit der selben Gewißheit und Überzeugung, mit der Hollywood epische Filme dreht, beschäftigte ich mich mit dem Kennenlernen dieser gigantischen Nation, ernährte ich mich als freischaffender Schlosser, stellte gepanzerte Safes her, Schablonen für Petaloidflaschen und Extrusionswerkzeuge für Hohlziegel.
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Es war, als täten sich mir täglich neue Türen auf, die mich in ein bisher unbekanntes Brasilien führten.
Wie, so frage ich mich, lesen andere AutorInnen aus der Geschichte um Bücher zu verfassen? Auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 zurückgreifend finde ich wenige Schiftsteller, Dramaturgen und Lyriker, die jene Geschehnisse damals und an Ort und Stelle "vom Blatt lasen" und niederschrieben.
Heute könnte man Fußballstadien mit Autoren füllen, die tonnenweise Manuskripte über Themen aus jener Zeit und den Kriegswirren produzieren.
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Wie konnte ich seit meiner Ankunft in diesem gigantischen Land etwas Wahres über meine brasilianische Umwelt schreiben, wenn ich täglich mit neuen bahianischen Unmöglichkeiten und Absurditäten überflutet wurde?
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Wozu aber diese meine Bemühungen? Mittlerweile waren genug Bücher über Brasilien verlegt worden, deren Inhalt an den Readers Digest erinnert.
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Ausserdem wurden im virtuellen Literaturkreis Stimmen laut die fragten, wie viel Wirklichkeit Literatur tatsächlich nötig habe... Literatur brauche eigentlich und genau genommen gar keine Wirklichkeit, hieß es bereits in der selben e-mail nur zwei Zeilen tiefer. Es komme auf die Sprache an, auf den Stil. Bücher schaffen ihre eigene Wirklichkeit, ihre eigene Welt, hieß es da.
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Unerhört! Das sagt man mir nun erst jetzt, nachdem ich mein ganzes Leben, oder wenigstens in 50 von meinen 63 bisherigen Lebensjahren möglichst exotische Wirklichkeiten zu verstehen suchte, einer eigenen Welt und dem Schreiben meine Existenz opferte.
Der Traum, eine riesige Leserschaft mit meinen brasilianischen und drittweltlichen Texten zu beglücken war nun endgültig geplatzt.
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Da sitze ich nun im tropichen Stadteil Barra von Salvador, Bahia, Brasilien, unweit malerischer Festungen an Palmenstränden und denke über Bücher nach.
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Die Antwort einer jungen Literatin auf jene mich zerschmetternde e-mail weckt mich aus aus meinem Selbstmitleid und der Gewißheit, nie im Leben einen Bestseller zustande zu bringen.
Sie meint, Wirklichkeit solle nicht vollkommen beiseite gelegt werden. Realität sei sogar Salz und Pfeffer der Literatur! Dann erzählte sie von Lesern, die sich angesichts ihrer Geschichten wie Detektive benehmen, herauszufinden suchen, wer wohl in Wirklichkeit mit dieser oder jener romanzierten Figur gemeint sei...
Sie griff bei jener Erklärung sogar auf Werke von Thomas Bernhard zurück...
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In letzter Zeit erinnen mich die kiloschweren Romane, die mir liebe Freunde zu Weihnachten aus Mitteleuropa schicken immer mehr und mehr an jene Bücher mit seltsam gefaltenen Blättern. Kartonierte Seiten, die sich beim Um - und Weiterblättern zu Häusern und Bäumen und Menschen aufrichten...
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Natürlich wird mir Hans Bäck bei dieser Aussage sofort ins Wort fallen.
Wenn es einen guten Grund gibt, sich zu streiten, dann über Bücher!
Da sprießen unterschiedliche Meinungen hurtiger als Schwammerl in einer schwülen Sommernacht.
Es wurde bei Literaturdiskussionen schon mancher grüne Knollenblätterpilz aufgetischt und viele ungenießbare Schwämme blieben dann monate, - bis jahrelang im Magen liegen.
Wenn beim heuer 70 werdenden Hans Bäck eine Qualität hervorgehoben werden muß, dann unbedingt auch die Tatsache, daß wenn auch ab und zu die Fetzen fliegen... er stets einlenkt, auf daß wieder Friede und Eintracht herrsche im Literaturkreise Kapfenberg...
Jedenfalls bis zur nächsten Keilerei.
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Vor dem Weggehen lese ich noch rasch die Reaktion eines Gastes über meine letzte Werbungsmail und "direkten Postkoffer", von mir spaßhalber "henkelloser Postkoffer" des Bistrô PortoSol genannt.
Das gemütliche Gasthaus unweit vom tropischen Palmenstrand aus meinen Wunschträumen hat nur einen Pferdefuß: ich bin dort nicht Gast, sondern Wirt. Prost!
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Ausserdem lese ich immer weniger Bücher... aus Zeitmangel und fehlendem Interesse... Letzteres soll altersbedingt sein, habe ich mir sagen lassen.
Heute lese ich besser aus meiner exotischen Umwelt, aus den Gesichtern einer bunten und mehr oder weniger dunkelhäutigen Menschenmasse, die jeden Abend vor meinem Beisl vorbeizieht. Die abfällige und aggressive Geste einer unangenehmen Figur, die den leeren Plastikbecher, aus dem sie gerade noch getrunken hat, wenige Meter vor mir auf den Asphalt wirft, erzählt mir von jenen Stiefkindern unserer ungleichen Gesellschaft.
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Himmel und Hölle liegen hier in Salvador nicht weiter auseinander als noble Behausungen von Favelas und Elendsviertel. Oft trennen nicht mehr als 10 Meter "Herrenhaus" und "Sklavenhütte".. ein paar Bananenstauden vielleicht und eine Stiege, die zu weiteren improvisierten Behausungen hinter hohen Mauern führt... Vielleicht wäre ich heute bereits in der Lage, meine Geschicke "vom Blatt" zu lesen, um brauchbare Texte zu schreiben.
Für wen aber? Für Leser wie ich einer war und heute noch bin?
Für mitteleuropäische Buchkonsumenten, deren Augen lieber über voluminöse Bildbände mit Kochrezepten und Wanderwegen gleiten, deren Hände immer seltener nach Büchern mit mehr oder weniger kritischen Texten greifen?
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Dabei erinnere ich mich an ein Bild, das vor Monaten via Internet über den Globus lief:
Hugo Chávez überreichte damals dem überlegen grinsenden Barack Obama das Buch "Die offenen Adern Lateinamerikas" von Eduardo Galeano... Im Hintergrund lacht auch Hillary Clinton mit weit aufgerissenem Mund, als wollte sie ihren eigenen Ohrschmuck verschlucken. Ich hätte damals gerne gewußt, was Hillary in jenem Moment so hilarious und komisch fand. Bei Publikationen über Auschwitz und Mauthausen lacht ja auch kein Mensch... oder?
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Übrigens feiert Eduardo Galeano am 3. September 2010 seinen siebziger.
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Salvador, Bahia, Brasilien, 22.Juni 2009
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Reinhard Lackinger

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